Die Preise für Verbraucher sind 2021 inflationsbedingt auf dem höchsten Stand seit 1993. Nicht nur durch den Preisanstieg fossiler Brennstoffe. Das statistische Bundesamt rechnet vor: Auch Lebensmittel sind teurer geworden. So stiegen im November 2021 die Preise für Eier im Vergleich zum Vorjahr um 14,7 Prozent, bei Butter waren es immerhin 12,3 Prozent.
Weihnachten saßen wir unterm Baum und konnten, wenn wir wollten, augenwischend in der Bild am Sonntag lesen: „Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben.“ Ich zitiere nicht Bauer Willi aus‘m Sauerland, sondern den neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Diese Äußerung war aus Sicht vieler Beobachter ziemlich daneben, obwohl dieser Spitzenpolitiker im Kern recht hat.
Preisanstieg für Lebensmittel
Warum genau sind Lebensmittel teurer geworden? Das Handelsblatt schreibt am 29. November 2021, dass vor allem die Knappheit von Düngemitteln eine Rolle beim Preisanstieg spielt.
Zum Hintergrund: Die chemische Industrie benötigt für die Produktion von Düngemitteln große Mengen an Ammoniak, ein Vorprodukt für Dünger. Für die Herstellung dieser Chemikalie wird Erdgas benötigt und das ist derzeit ziemlich teuer. Deshalb sind die Preise für Dünger in den vergangenen Wochen und Monaten spürbar gestiegen.
Durch höhere Preise für Düngemittel und deren schlechtere Verfügbarkeit steigen auch die Kosten für die Bauern. Viele Landwirte werden ihre Flächen im Frühjahr deshalb nicht mehr ausreichend düngen können. Das heißt: Die Erntemengen werden im Sommer voraussichtlich sinken.
Die Kosten für die ausgebrachten Erntemengen werden dann steigen, da die Flächen weniger Ertrag abwerfen. Damit die Landwirtschaft nicht kaputt geht, reichen die Bauern diese Kosten dann über den Handel an uns durch. Das ist mehr als verständlich. Soweit der betriebswirtschaftliche Aspekt.
Ramschpreise: Richtiges Thema, falsche Diskussion
Dass aktuell ein Spitzenpolitiker mit zu niedrigen Lebensmittelpreisen Schlagzeilen macht, ohne auf die Gründe dafür einzugehen, das geht aus meiner Sicht gar nicht. Ich finde: Herr Özdemir darf die wirtschaftlichen Verflechtungen von Energie- und Agrarpolitik nicht ignorieren.
Ich habe dieses Blog ins Leben gerufen, weil ich glaube, dass gesunde und nachhaltige Ernährung der richtige Weg für uns alle sein kann. Und ich weiß, dass wir auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit hohe Hürden nehmen werden. Dass Lebensmittel teurer werden ist eine davon.
Ich bin davon überzeugt: Diese Hürden werden mehr schlecht als recht gemeistert, wenn sich nicht alle politischen Ressorts zusammen an einen Tisch setzen. Nur dann werden die Wechselwirkungen einer stärker klimaorientierten Wirtschaftspolitik vollständig und vor allem frühzeitig sichtbar. Auch um rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Verbraucherpreise sind dabei ein zentrales Thema.
Zum zweiten glaube ich, dass du, dass ich, dass wir alle bei diesem Prozess mitgenommen werden müssen, damit der Wandel funktioniert, unabhängig davon, wie dick unser Portemonnaie ist. Ich weiß, diese Aufgabe ist wahnsinnig komplex. Und die Herausforderungen an uns alle sind riesig. Aber eine Diskussion um Ramschpreise ist aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt absolut schädlich.
Wenn in der öffentlichen Wahrnehmung ankommt, dass die Lebensmittelpreise ohnehin steigen, weil die Energiekosten steigen, dann wird der Gemüse-Karren sprichwörtlich vor die Wand gefahren, noch bevor er mit nachhaltiger, erneuerbarer Energie läuft.
Angemessene Lebensmittelpreise ja, Ramschpreise, nein!
Zurück zu ein paar anderen interessanten Zahlen. Die Preise für frisches Gemüse sind laut dem Bundesamt für Statistik im November 2021 um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, wobei Kartoffeln nicht mit eingerechnet wurden.
Insgesamt sind unsere Lebensmittel in den letzten Jahren teurer geworden. Die Preise für Fleisch etwas stärker als die der pflanzlichen Produkte. Angesichts des Anstiegs der Biobetriebe ist das gut nachvollziehbar. Und wenn der Landwirtschaftsminister angemessene Lebensmittelpreise aus Gründen des Tierwohls und des Arten- und Klimaschutzes fordert, dann ist das alles gut und richtig.
Wenn zukünftig allerdings Energiekosten das Preisniveau für Lebensmittel anheizen, dann wird die Akzeptanz für nachhaltige Lebensmittel sinken. Denn wenn ich im Supermarkt vor dem Regal mit Bio-Lebensmitteln stehe, werde ich zukünftig stutzig sein. Schließlich möchte ich mit dem Kauf pflanzlicher Produkte Nachhaltigkeit fördern und keine Energieengpässe quer subventionieren.
Sollten die Preise für Gemüse in diesem Jahr zum ersten Mal stärker steigen als die Preise für Fleischprodukte. Es wäre ein fatales Signal für die Zukunft nachhaltiger Ernährung. Pflanzliche Produkte belasten unser Klima nachweislich weniger und das muss sich aus meiner Sicht auch im Preis wieder spiegeln. Ramschpreise? Nö! Aber angemessen niedrig sollten sie sein.
Was jetzt passieren muss
Sollte sich durch teure “Übergangsenergie” wie Erdgas die Ertragssituation vieler Landwirte über das laufende Jahr 2022 hinaus weiter verschlechtern, dann wird Zuschauen und mit den Schultern zucken das Problem sicherlich nicht lösen.
Aufgabe der Politik ist es dann, die Landwirtschaft und die Industrie zu entlasten, damit der Verbraucher nicht dauerhaft darunter leidet. Klar ist: Die derzeitigen Preissteigerungen haben nichts mit dem Umstieg der Bauern auf eine ökologische Landwirtschaft zu tun.
Aufgabe der Landwirte ist es jetzt, die Höhe der Kosten für Dünger und Pflanzenschutzmittel stärker selbst zu bestimmen. Wie? Indem sie weniger davon einsetzen! Die dann fehlenden Ernteerträge könnten durch Subventionen kompensiert werden. Die Voraussetzungen dazu hat das EU-Parlament zumindest teilweise in einer neuen Agrarreform im November 2021 durchgesetzt.
Ich bin kein Agrar-Experte. Es ist aber nachzulesen, dass zukünftig durch diese Reform 23 bis 25 Prozent der Direktzahlungen an die Landwirte an höhere Umwelt- und Klimaleistungen wie zum Beispiel den extensiven Anbau ohne Pflanzenschutzmittel geknüpft sein werden.
Bis 2023 haben die Bauern Zeit, das umzusetzen. Ab dann wird es hoffentlich möglich sein, zumindest den Einsatz von Pestiziden kostendeckend zu senken.
Ein Verzicht auf Düngemittel ist allerdings nicht an die neuen EU-Agrarprämien geknüpft. Ob sich das wie beschrieben langfristig negativ auf die Preise auswirkt, wird sich zeigen.
Bildrechte: Jörg Ambro