Vielleicht kennst du das. Du willst dich zukünftig pflanzenbasierter und nachhaltiger ernähren. Okay. Und du bist nächstes Wochenende auf eine Grillparty eingeladen. Auch okay. Und viele auf der Party werden sich ein tierisch gutes Schnitzel genehmigen. DAS ist auch okay!
Ja klar. Auch du möchtest auf der Party lässig das Würstchen in der einen und das Bierchen in der anderen Hand halten. Was tun? Die Zauberformel lautet: Vegane und vegetarische Fleischersatzprodukte. Aber sind die Produkte wirklich nachhaltiger und taugen als Ersatz?
Tofuwürstchen, die E-Zigarette für Flexitarier?
Bevor wir in das Thema einsteigen. Trommelwirbel, Fanfarensturm und Paukenschlag: Zirkusdirektor Jörg hat mir das Lesen beigebracht.
Als Kohlsprosse ist das keine Selbstverständlichkeit. Aber seitdem ich lesen kann, benimmt Jörg sich seltsam. Letztens lagen überall bei uns zu Hause Bedienungsanleitungen rum.
Staubsauger „Heinzelmann-Power L750“. „Erste Schritte mit der Waschmaschine CleanEnergy 08/15“. Quick Start-Guide Spülmaschine „Müffelmat 5000“.
„Jojo, du brauchst eine tägliche Routine, um dich in der Nicht-Gemüse-Welt der Menschen besser zurecht zu finden“, tönt es aus der Küche. „Lies dir die Anleitungen bei Gelegenheit mal durch, anschließend zeige ich dir, wie du die Spülmaschine ausräumst.“
„Jaja, alles klar. Du mich auch“, dachte ich nur.
Aber in einem hat er Recht, der Jörg. Gemeinschaft in der Nicht-Gemüse-Welt ist für mich als Kohlsprosse tatsächlich mit unangenehmen Dingen verknüpft. Trotzdem wurde der Wink mit dem Zaunpfahl erstmal ignoriert. Ich lese euch stattdessen lieber etwas Sinnvolleres vor.
Spannend finde ich schon lange das Thema Fleischersatzprodukte und die Frage: Können diese Lebensmittel zukünftig wirklich mehr sein als die E-Zigarette für Flexitarier*innen? Je länger ich mich mit dieser Frage beschäftigte, desto mehr neue Fragen tauchten auf. Wie sehen die Fleischersatzprodukte der Zukunft aus? Und welchen Beitrag leisten sie für den Klimaschutz?
Ernährung und Nachhaltigkeit: Der Faktencheck 2021/2022
Wir essen bekanntlich gerne und vor allem viel Fleisch in Deutschland. Empfohlen sind 300 g pro Woche. Das sind etwa 16 Kilo im Jahr. Tatsächlich verbrauchen Omnivore, also Menschen, die mehrmals die Woche Fleisch essen, in Deutschland durchschnittlich 60 Kilo in 365 Tagen. Das sind 240 Steaks.
Die Krux daran: Wenn dein Steak in der Pfanne landet, wurden zuvor im Vergleich zu pflanzlichen Nahrungsmitteln wesentlich mehr Rohstoffe dafür eingesetzt. Vor allem Energie, Wasser und Futtermittel. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz fordert deshalb, den Konsum tierischer Produkte global verträglicher zu gestalten.
Aus diesem Grund soll die deutsche Landwirtschaft zukünftig nachhaltiger werden. Laut der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ müssen die Tierbestände in den nächsten 25 Jahren deshalb stark reduziert werden. Im Gegenzug für die entgangenen Einnahmen aus der Tierzucht erhalten die Landwirte finanzielle Anreize, um ihre Flächen nachhaltiger zu nutzen. Soweit der Plan.
Was nicht in der Studie steht: Die zukünftige Tierhaltung wird durch diesen Veränderungsprozess kostenintensiver und die Preise für Fleisch werden steigen. Auch aus Tierwohlgründen. Der Handel hat bereits Position bezogen. Vor allem die Discounter lassen aufhorchen. ALDI war hier einer der ersten und will zukünftig nur noch Fleisch anbieten, das zu Lebzeiten an der frischen Luft war.
Aber nicht nur der Handel, auch die Ernährungsindustrie sieht das Marktpotenzial. Viele haben deshalb ihre Produktpalette an Fleischprodukten reduziert und gleichzeitig das Angebot an vegetarischen und veganen Produkten vergrößert. Wichtig dabei war und ist, die Fleischesser im Blick zu behalten und ihnen Alternativen aufzuzeigen.
Womit wir zurück beim veganen Würstchen auf der Grillparty sind.
Fleischersatzprodukte: Industrielle und Selbstgemachte
Grundsätzlich sind bei den Fleischersatzprodukten die industriell verarbeiteten von den selbstgemachten Fleischalternativen zu unterscheiden. Um die Industriellen geht’s zunächst.
Die meisten dieser Fertigprodukte werden auf Basis pflanzlicher Eiweiße wie Soja, Weizen und Hülsenfrüchten hergestellt. Aber aufgepasst: Viele Fleischimitate enthalten auch nicht-pflanzliche Inhaltsstoffe wie Proteine aus Milch und Eiern sowie tierische Fette.
Warum das so ist? Naja, die Bezeichnungen für Fleischimitate sind anders als bei Milchersatzprodukten rechtlich nicht klar geregelt. Deshalb kannst du nicht immer 100% sicher sein, dass vegane Würstchen kein Fette und Eiweiße tierischen Ursprungs enthalten. Im Zweifel fragst du einfach beim Hersteller nach.
Am gesündesten sind die Fleischalternativen, die einen geringen Verarbeitungsgrad und nur wenige Zusatzstoffe enthalten. Wenn es dir wichtig ist, dass die Zutaten nachhaltig und regional produziert wurden, sind Bio-Varianten empfehlenswerter. Aber wieder aufgepasst: Viele Discounter verwenden noch immer Soja aus den USA und China, obwohl der Großteil mittlerweile aus EU-Ländern kommt.
Wenn du sicher gehen willst, dass die Produkte aus regionaler Produktion stammen, dann sind Fleischersatzprodukte aus Lupinen zu empfehlen. Lupinenschnitzel sind nicht nur lecker, nein, die noch recht unbekannte Pflanze ist ein absoluter Alleskönner, der vor unserer Haustür wächst. Wie Soja bindet die Lupine viel Stickstoff. Das ist gut für die Böden. Und die eiweißreichen Samen der Süßlupine enthalten wertvolle Ballaststoffe und wenig Fett. Das ist gut für die Gesundheit.
Industrielle Fleischersatzprodukte: Pro und Contra
Bevor ich mehr über die selbstgemachten Fleischersatzprodukte verrate, habe ich die 10 wichtigsten Gründe aufgelistet, die für und gegen den Konsum von fertigen Fleischersatzprodukten sprechen. Danach kannst du für dich selbst entscheiden, ob diese Produkte für dich in Frage kommen.
Gründe, die für pflanzliche Fleischersatzprodukte sprechen:
- Geringe Klimabelastung: Es entstehen durch die Pflanzen keine klimaschädlichen Emissionen wie bei der Tierhaltung und das Grundwasser wird nicht belastet.
- Geringeres Darmkrebs-Risiko: Wenn du mit Hilfe von Fleischalternativen deinen übermäßigen Konsum von rotem Fleisch reduzierst, senkt das dein Darmkrebs-Risiko.
- Abnehmen: Du verlierst Gewicht und nimmst weniger gesättigte Fettsäuren zu dir. Denn diese Fettsäuren begünstigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hypertonie und Diabetes Typ 2.
- Menschendienliche Ernährung: Zutaten wie Sojabohnen und Weizen dienen in Form von Fleischersatzprodukten direkt der menschlichen Ernährung und nicht als Tierfutter.
- Gut für den Boden: Die Sojabohne als meistgenutzte Zutat von Fleischersatzimitaten reichert Böden mit Stickstoff an und trägt so zur Bodenverbesserung bei.
Gründe, die gegen Fleischersatzprodukte sprechen:
- Verpackungsmaterial: Die industrielle Verarbeitung von Fleischalternativen sowie die Verpackungsherstellung verbrauchen produktionsbezogene Ressourcen und Energie.
- Fehlende Klarheit: Bei der Kennzeichnung weitestgehend pflanzlicher Fleischimitate fehlt eine gesetzliche Grundlage für einheitliche und nachvollziehbare Fleischbegriffe.
- Weniger gesund: Viele pflanzliche Fleischalternativen sind stark verarbeitet und deshalb aus gesundheitlicher Sicht weniger empfehlenswert als frische oder wenig verarbeitete Produkte.
- Vegan und vegetarisch: Weder in Deutschland noch in der EU existieren rechtliche Definitionen, was unter vegan und vegetarisch bei der Kennzeichnung von fertigen, industriell verarbeiteten Fleischersatzprodukten zu verstehen ist.
- Aroma-Explosion im Mund: Viele Fleischersatzprodukte enthalten Geschmacksverstärker und sehr viel Salz, so dass deine empfohlene Tagesdosis schnell überschritten ist.
Deshalb kann ich aktuell keine klare Empfehlung für industrielle Fleischersatzprodukte geben. Zumindest für die, die auf dem Markt sind. Auf dem Gebiet der Fleischalternativen wird aktuell noch viel geforscht und entwickelt. Doch eines ist klar: Die Produkte werden in den nächsten Jahrzehnten völlig neue Varianten und Rohstoffe beinhalten. Doch dazu später mehr.
Selbstgemachte Fleischalternativen: Die wichtigsten Alternativprodukte
Wenn du nicht so lange warten willst, kannst du dich auch auf andere Art pflanzenreicher ernähren und dabei sogar traditionelle Lieblingsgerichte zaubern, die Veganer und Omnivore an einen Tisch bringen, ohne dass es leise brodelt.
Dazu gibt es zahlreiche Kochbücher, die dir zeigen, wie du auf kreative Art Fleischalternativen zauberst, die dann beim Abendessen ihren Platz auf dem Teller finden und entsprechend zubereitet richtig lecker sind. Hier meine Top-5 in Sachen selbstgemachte Fleischkonkurrenz.
- Tofu: Auch Sojaquark genannt ist reich an Eiweiß und völlig geschmacksneutral. Beim Würzen ist deshalb deine Kreativität gefragt. Ob fein zerkrümelt, gebraten oder gepresst. Das entscheidest du. Ich mag Sojaschnetzel mach daraus gern Bolognese Sauce und Bratlinge für Burger.
- Tempeh: Ursprünglich aus Indonesien, besteht Tempeh aus gedämpften und geschälten Sojabohnen, die mit Pilzkulturen fermentiert sind. Der Verzehr der enthaltenen Bakterien kann sich positiv auf das Immunsystem auswirken. Zerkrümelt ein guter Hackfleischersatz.
- Seitan: Ist aufwendig in der Selbstherstellung und kommt aus der japanischen Küche. Die Grundzutat ist Weizeneiweiß (Gluten). Seitan ist etwas bissfester als Soja, aber auch faseriger. Deshalb ist er besonders gut als Fleischalternative geeignet. Vorgegart kannst du ihn fertig kaufen und leckere Grillsteaks, Schnitzel und Bratwürste daraus zaubern.
- Süßlupinen: Ähnlich wie Chia ist auch die Süßlupine kein wirklich neues Lebensmittel. Schon die Ägypter nutzten sie. Neue Zuchtvarianten wie die blaue Süßlupine wachsen auch in unseren Breiten, sind aber nicht so bitter wie die Wildform. Lupine eignen sich nicht nur als Mehlersatz für Backwaren oder Porridge, auch als Burger Patty macht die eiweißreiche Hülsenfrucht eine gute Figur.
- Bohnen und Linsen: Bringen den *** zum Grinsen. Dabei wird selten erwähnt, wie vollwertig und gesund diese sowohl fettarmen als auch eiweiß- und ballaststoffreichen Fleischalternativen sind. Die Newcomer heißen Bolognese und Lasagne mit Sauce aus Linsen. Bohnen kannst du hingegen prima mit Tofu kombinieren und daraus herzhafte Bratlinge machen.
Ein paar Rezepte liefert dir Jörg sicher noch zu den selbstgemachten Fleischalternativen, aber für einen ersten Überblick weißt du jetzt schon Bescheid. Wenn du nicht so lange warten willst, findest du im Netz auf vielen anderen Seiten großartige Ideen dazu.
Worauf alle allerdings noch warten müssen, das ist der Fleischmarkt der Zukunft. Welche Produkte dabei eine wichtige Rolle spielen werden. Das erfährst du jetzt.
Die Fleischersatzprodukte der Zukunft
Ich habe meine Glaskugel stundenlang poliert, um einen Blick auf die Fleischalternativen von Morgen zu werfen. Und siehe da, es zeichnen sich zwei Entwicklungen ab, die in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten dazu führen, dass völlig neue Produkte in den Supermarktregalen stehen.
Das stellt enorme Herausforderungen an unsere Ernährungsgewohnheiten. Und die meisten wollen und werden weiter konventionelles Fleisch konsumieren. Aber der weltweite Anteil an konventionellem Fleisch wird nach einer Schätzung des Beratungsunternehmens A.T. Kearney um 50 Prozent auf $ 720 Mrd. im Jahr 2040 zurückgehen.
Gleichzeitig wird für vegane Fleischprodukte ein enormes Wachstum prognostiziert. Was aber überrascht ist, dass ein Produkt noch schneller wachsen soll als die Fleischimitate und das ist Fleisch! Verwirrt? Verstehe. Es ist auch kein normales Fleisch. Und bisher existiert es nur im Labor.
Wovon ich hier rede erzähle errätst du vielleicht bereits. In-Vitro Fleisch ist das Zauberwort. Mit seiner Hilfe soll zukünftig nur ein Viertel des konventionellen Fleischmarktes durch pflanzliche Alternativprodukte ersetzt werden. Der Rest wird in riesigen Laboranlagen gezüchtet.
Um das zu erreichen und weiterhin die hohe Nachfrage nach Fleisch zu bedienen, setzt die Lebensmittelindustrie auf gewaltige Fortschritte in der Entwicklung von In-vitro-Fleisch. Dessen Marktreife könnte den Fleischmarkt revolutionieren und die Massentierhaltung überflüssig machen.
Fleisch, das im Labor gezüchtet wird? Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Bereits angekommen auf dem Lebensmittelmarkt sind hingegen Insekten. Obwohl es sich hier gemäß den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse (BMEL) nicht um Fleisch handelt, beeindrucken die Nährwerte, wobei die Angaben stark schwanken und stark von den Futtermitteln und Haltebedingungen abhängen.
Du willst mehr darüber wissen? Dann empfehle ich die Broschüre „Fleisch der Zukunft“. Die Broschüre hat das Umwelt Bundesamt kostenlos als Download ins Netz gestellt. Sie gibt eine Abschätzung zu den Umweltwirkungen von pflanzlichen Fleischersatzprodukten, essbaren Insekten und In-vitro-Fleisch. Prädikat besonders wertvoll.
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